A-9.2.4 Photogrammetrie: Luftbildorientierung und technische Grundlagen der Luftbildstereoauswertung
1 Geltungsbereich
Diese TS definiert die fachspezifischen Anforderungen für Maßnahmen, bei denen historische Luftbilder im Rahmen einer Kampfmittelerkundung und -räumung ausgewertet werden sollen und eine präzise Positionierung der Auswertungsergebnisse im Untersuchungsgelände geboten ist. Unter dem Begriff „historische Luftbilder“ sind in diesem Zusammenhang senkrecht aufgenommene Kriegsluftbilder aus Befliegungen meistens alliierter Luftstreitkräfte sowie Luftbilder aus der Nachkriegszeit bis Ende der 1950er Jahre zu verstehen. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal der hier gestellten Anforderungen gegenüber nicht genau spezifizierten Luftbildauswertungen ist der qualitative Anspruch einer luftbildgestützten Vermessung.
Sofern die folgenden Spezifikationen für photogrammetrische Verfahren aufgrund der Eigenschaften des Bildmaterials nicht angewendet werden können, müssen andere Lösungen zur näherungsweisen Verortung luftbildsichtiger Informationen in Betracht gezogen werden. Diese werden in Kapitel 3.2.4 benannt.
2 Technische Auswahlkriterien und beschreibende Informationen historischer Luftbilder
2.1 Luftbildabdeckung
- Für das Erkundungsgebietist grundsätzlich, soweit verfügbar, eine vollständig stereoskopische Luftbildabdeckung vorzusehen.
- Ist von den primär ausgewählten Luftbildern keine stereoskopische Abdeckung zu erwarten, ist der zusätzliche Erwerb vergleichbarer Luftbildzeitschnitte (Datum, Maßstab und Qualität sind ähnlich) in Betracht zu ziehen. Die Feststellung der Überdeckung von Luftbildern kann auf Grundlage der Bildmittenpunkte unter Berücksichtigung des Bildmaßstabes erfolgen. Die Bildmitten können i. d. R. von der bildliefernden Stelle angefordert werden. Eine Kosten-/Nutzenbetrachtung hinsichtlich des zu erwartenden Informationszuwachses aus stereoskopischen Bildern ist anzustellen.
- Soweit das Bildmaterial mangels Überdeckung keine Berechnung von Stereoluftbildmodellen zulässt, können die Orientierung und Auswertung von Einzelbildern in Betracht gezogen werden.
2.2 Fotografische Eigenschaften
Wird die Auswertung diffiziler Themen (z. B. Bombenblindgängerverdachtspunkte) durch eine vermutlich reproduktionstechnisch bedingte mindere Bildqualität erschwert oder unmöglich, ist eine erneute Beschaffung des Bildmaterials aus primären Quellen (z. B. englische Bildarchive) zu prüfen bzw. durchzuführen (vgl. A-2.1.4.2, Pkt. 3 „Quellenlage“).
2.3 Beschreibende Informationen
Für die weitere Nutzung der Luftbilder sind beschreibende Informationen zwingend erforderlich. Diese müssen von dem liefernden Bildarchiv im Zuge der Bildbeschaffung angefordert werden. Im Einzelnen sind folgende Parameter von Bedeutung:
- Flugnummer,
- Flugdatum (wenn verfügbar, mit Uhrzeit),
- Bildnummer,
- Flughöhe,
- Mittlerer Bildmaßstab,
- Brennweite der Luftbildkamera.
Die Bildreproduktionen müssen alle fotografischen Nebenabbildungen, die i. d. R. die zuvor genannten Parameter umfassen, einschließen.
3 Technische Verfahren zur Orientierung und Stereoauswertung historischer Luftbilder
Für die Orientierung und Auswertung von Luftbildern im Sinne dieser TS sind folgende Kategorien photogrammetrischer Verfahren zulässig:
- Analytische Photogrammetrie: Auswertung analoger Bilder mit rechnergestützten optisch-mechanischen Geräten,
- Digitale Photogrammetrie: Auswertung digitaler Bilder mit digitalen photogrammetrischen Systemen.
Aufgrund der vorherrschenden Verbreitung vollständig digitaler Verfahren werden ausschließlich diese beschrieben. Die Anforderungen an die Ergebnisse analytischer und digitaler Verfahren sind identisch.
Für Luftbilder aus zivilen Bildflügen der 1950er Jahre lassen sich diese Verfahren i. d. R. ohne Einschränkungen anwenden. Für Kriegsluftbilder hingegen ist fallbezogen zu prüfen, ob die Beschaffenheit des Bildmaterials den Einsatz photogrammetrischer Verfahren zulässt. Die Feststellung der Eignung muss durch Sachkundige erfolgen.
3.1 Spezifikationen digitaler Stereosysteme
Für die Orientierung und Auswertung von digitalen Luftbildern mit Stereoüberdeckung muss die verwendete Hard- und Software folgende allgemeinen technischen Voraussetzungen erfüllen:
Software:
- Verbesserung der Bildqualität.
- Rekonstruktion eines dreidimensionalen Raummodels für Überdeckungsbereiche von senkrecht aufgenommenen Stereoluftbildpaaren, dessen Abbildungsgeometrie die realen Lage- und Höhenverhältnisse unverzerrt und fehlerfrei wiedergibt. Dadurch können Geländeelemente eingemessen und im Weiteren auch Flächenausdehnungen bzw. Volumina abgeleitet werden.
- Erfassung von Geometrie- und Sachdaten auf Grundlage der stereoskopischen Betrachtung der Luftbilder an einem Bildschirm. Dies bedeutet, dass die Betrachtung des Stereoluftbildpaares an einem Bildschirm gleichzeitig die Erfassung von Geodaten des Bildpaares ermöglichen muss.
Hardware:
- Workstation mit stereofähiger Grafikkarte,
- Hochauflösender Monitor 20“–21“ mit Bildwiederholfrequenz von mindestens 120 Hz,
- Passives oder aktives Shuttersystem zur Stereobetrachtung der digitalen Bilder am Bildschirm,
- Einrichtung zur Synchronisation von Grafikkarte, Bildschirm und Shuttersystem,
- Alternativ: Planarsystem, Aufbau mit zwei Active Matrix Liquid Crystal Displays, Beamsplitter und Polarisationsbrille; Mirror-flip PCI Card.
3.2 Die Prozesskette der digitalen Photogrammetrie
Folgende Standard-Arbeitsschritte der Bildauswertung sind anzuwenden:
- Die innere Orientierung der Luftbilder, d. h. die Übernahme oder Rekonstruktion von kameraspezifischen Größen zur Bestimmung des Projektionszentrums bezogen auf die Bildebene eines Luftbildes (nicht für alle Verfahren erforderlich).
- Die relative Orientierung, auch gegenseitige Orientierung genannt, benötigt keine Passpunkte im Objektraum. Es wird lediglich die gegenseitige Ausrichtung der Strahlenbündel der Luftbilder in einem Modellkoordinatensystem zueinander mittels räumlicher Translationen und Rotationen bestimmt.
- Die äußere Orientierung der Luftbilder, d. h. die Bestimmung der Lage und Position der Kamera während der Aufnahme bezogen auf das fotografierte Gelände selbst (s. Abschnitt 3.2.3 dieser TS).
- Temporäre Korrektur und Optimierung der Bildhelligkeit und des Bildkontrastes.
- Stereo-Kartierung, d. h. Interpretation und Erfassung von Objekten auf Grundlage des entzerrten, in einheitlichem Maßstab und korrekter koordinatengetreuer Raumlage rekonstruierten Bildmodells.
- Weiterverarbeitung der erfassten Daten – gegebenenfalls nach Übertragung in eine andere Softwareumgebung (z. B. GIS) – zu Karten, die alle kampfmittelrelevanten Informationen auf Grundlage der aktuellen Topographie wiedergeben.
3.2.1 Besonderheiten für historische Luftbilder
Für die Berechnung digitaler Stereomodelle sind i. d. R. Kenntnisse der inneren Orientierung des Aufnahmesensors erforderlich. Für historische Luftbilder im Sinne dieser TS liegen solche Informationen grundsätzlich nicht vor. Die Parameter der inneren Orientierung müssen deshalb mit geeigneten Methoden näherungsweise bestimmt werden. In wenigen Fällen kann die innere Orientierung nicht hergestellt werden, weil die Rahmenmarken der Luftbilder nicht oder nur teilweise abgebildet sind. Hier ist die Orientierung von Stereoluftbildpaaren mit geeigneten Verfahren allein über Bodenpasspunkte herzustellen.
Ungeeignete Reproduktionsverfahren (z. B. Abfotografieren oder Verwendung von Scannern mit mangelhafter Geometrie) können zu einer geometrischen Veränderung des Bildes führen. Dies kann bewirken, dass dieses Bildmaterial nicht mittels der zuvor beschriebenen photogrammetrischen Verfahren zu orientieren ist. Wenn die Methoden der digitalen Photogrammetrie trotz Fehleranalyse hinsichtlich der Lagegenauigkeit zu keinem akzeptablen Ergebnis führen, muss ein anderes Verfahren zur Orientierung der Bilder gewählt werden (s. Abschnitt 3.2.4 dieser TS). Die Möglichkeit der direkten Erfassung von Geometrien auf Grundlage eines digitalen Stereopaares entfällt dadurch. Die Interpretation des Luftbildes erfolgt dann in einem relativen Stereopaar, die digitale Erfassung der Bildinformationen wird durch die Eintragung der Daten in einem GIS auf Basis des digitalen, georeferenzierten Einzelbildes bewerkstelligt. Dies ist mit dem Auftraggeber abzustimmen.
Wenn im direkten Vergleich zwischen historischen Luftbildern und aktuellen Grundlagen zur Georeferenzierung keine Bodenpasspunkte zu lokalisieren sind, ist ggf. ein weiterer Luftbildzeitschnitt zu orientieren, der Bodenpasspunkte des historischen und aktuellen Zeitschnittes umfasst (i. d. R. Bilder aus den 1960er Jahren).
3.2.2 Georeferenzierungsgrundlage
Grundsätzlich sind für die Georeferenzierung des gesamten Luftbildbestandes digitale Orthofotos der aktuellsten Befliegung (DOP5, Bodenauflösungen < 0,5 m) sowie ein digitales Höhenmodell mit einer maximalen Rasterweite von 25 m der Landesvermessung zu nutzen. Ausnahmen sind im begründeten Einzelfall zulässig (z. B. Orthofotos/-pläne der Bundeswehr; zur wirtschaftlichen Vorgehensweise, wenn z.B. keine BBVP zu kartieren sind).
Die geodätische Grundlage der Georeferenzierung richtet sich nach den Parametern der Referenzierungsgrundlagen. Eine spätere Transformation in andere Raumbezugssysteme ist möglich.
Die äußere Orientierung der Luftbilder erfolgt auf Grundlage einer Interpretation von topographischen oder baulichen Merkmalen Passpunkte), welche sich zwischen den zu bearbeitenden und dem aktuellen Zeitschnitt nicht verändert haben. Die Koordinaten solcher Punkte werden von den aktuellen DOPs (X- und Y-Werte) und den korrespondierenden Höhenwerten des digitalen Höhenmodels (Z-Wert) abgegriffen. Abweichungen zwischen dem historischen und aktuellen Geländemodell sind für die vorliegende Aufgabenstellung zu vernachlässigen. Die Passpunktbestimmung ist mit größter Sorgfalt durchzuführen und durch die Prüfung der Berechnungen zur Georeferenzierung für jeden Passpunkt (RMS-Fehler oder Residuen) zu verifizieren, um Fehlinterpretationen auszuschließen.
3.2.3 Eignung photogrammetrischer Orientierungsverfahren
Für Aufgabenstellungen im Geltungsbereich dieser TS sind zunächst alle Methoden auszuschließen, welche fachlich nicht oder nur bedingt für die Georeferenzierung von Luftbildern geeignet sind. Dazu zählen allgemein betrachtet alle Methoden, welche nicht in der Lage sind, zentralperspektivische Verzerrungen oder höhenbedingte Maßstabsänderungen/Lageabweichungen eines Luftbildes zu korrigieren. Im Folgenden werden geeignete Methoden für die Orientierung von Kriegsluftbildern in gewichteter Reihenfolge gelistet:
- Aerotriangulation mit Bündelblockausgleich,
- Räumlicher Rückwärtsschnitt,
- Direkte Lineare Transformation (DLT).
Die Anwendung dieser Verfahren ist zudem abhängig von den zu dokumentierenden kampfmittelrelevanten Objekten. Für die Kartierung von Blindgängerverdachtspunkten ist eine photogrammetrische Orientierung der relevanten Luftbilder vorzunehmen. Die Anwendbarkeit der Orientierungsverfahren für die eigentliche Stereoauswertung ist abhängig von den Möglichkeiten des verwendeten Stereoauswertesystems, d. h. nicht alle auf dem Markt verfügbaren Systeme sind in der Lage, mehrere Orientierungsverfahren zu unterstützen. Deshalb ist die Anwendung weiterer Methoden grundsätzlich möglich, bedarf jedoch eines Nachweises der fachlichen Eignung und Abstimmung mit dem Auftraggeber.
3.2.4 Anwendung bedingt geeigneter Methoden
Sofern Luftbilder deutliche geometrische, produktionsbedingte oder reproduktionsbedingte Mängel aufweisen, können photogrammetrische Orientierungsverfahren gem. Abschnitt 3.2.3 dieser TS möglicherweise nicht angewendet werden, da sie zu keiner adäquaten Lösung führen. In solchen Ausnahmefällen dürfen folgende, beispielhaft aufgeführte Verfahren zur Anwendung kommen:
- Projektive Transformation,
- Affine Transformation,
- Polynomtransformation.
Grundvorausetzung bei allen Methoden ist die möglichst gleichmäßige Verteilung einer größeren Anzahl von Passpunkten (ca. 10 je Bild oder mehr) und eine sorgfältige Prüfung lokaler Abweichungen der georeferenzierten Luftbilder. Die o. g. Methoden können in der Praxis, insbesondere bei Höhenunterschieden im Gelände, zu unkontrollierten Lageabweichungen führen und sind somit nur als Notbehelf anzusehen. Die Anwendung bedingt geeigneter Verfahren ist mit dem Auftraggeber abzustimmen.
Die georeferenzierten Luftbilder können i. d. R. nicht in digitalen Stereoauswertesystemen verwendet werden. Deshalb ist es erforderlich, die Bildinterpretation an nicht georeferenzierten Stereobildpaaren vorzunehmen und die Digitalisierung der Ergebnisse durch die visuelle Übertragung der Informationen auf das näherungsweise orientierte Bild in einem GIS vorzunehmen.
3.2.5 Anforderungen an die Lagegenauigkeit
Die erwartete Genauigkeit der Luftbildorientierung ist aufgrund der Projektanforderungen durch den Auftraggeber zu spezifizieren und steht in Abhängigkeit zu den zu erfassenden kampfmittelrelevanten Objekten. Für die Kartierung von BBVP soll die Lageabweichung jedoch einen Grenzwert von drei Metern nicht überschreiten. Dies entspricht einer Genauigkeitsklasse der DGK5 bzw. des DOP5. Bei kleinmaßstäbigen Bildern (< ca. 1:15.000) oder Bildern mit geometrischen Mängeln (produktions- oder reproduktionsbedingt) kann dieser Wert evtl. nicht eingehalten werden. In solchen Fällen ist die höchstmögliche, erreichbare Lagegenauigkeit anzustreben und das Ergebnis nachvollziehbar zu begründen.
4 Dokumentation
Die Arbeiten der Luftbildorientierung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation muss folgende Punkte beinhalten:
- Erfassung von Informationen gemäß Formblatt C – Dokumentation Georeferenzierung
- Tabelle der Bodenpasspunkte (für jeden Bildflug getrennt):
- Allgemein: Koordinatensystem, Bildflug, Bildnummern
- Speziell: Lfd. Nummer der Passpunkte, geodätische Koordinate für jeden Passpunkt
- Dokumentation über die näherungsweise Bestimmung von inneren Orientierungsparametern der Luftbildkamera (je Bildflug):
- Anordnung der Rahmenmarken in Bezug auf das Luftbild,
- Größe eines Pixels (Einheit Mikrometer),
- Rahmenmarkenkoordinaten (Einheit Pixel),
- Rahmenmarkenkoordinaten (Einheit mm),
- Erfassung von unabhängigen Kontrollpunkten und Ermittlung der Abweichung zwischen aktuellem DOP und dem zu überprüfenden Orthofoto bzw. referenzierten Luftbild,
- Darstellung der Lageabweichungen an den Kontrollpunkten und Berechnung der maximalen sowie minimalen Abweichung und des Medians der euklidischen Distanz.
Das Formblatt C „Dokumentation Luftbildorientierung“ zu A-9.2.4 steht Ihnen als Word-Datei im Bereich „Anlagen“ und in der rechten Spalte "Downloads" zur Verfügung.